Zukunftsmarkt Elektromobilität – ein Gespräch mit Experten

In unserer neuen Rubrik „Branche im Fokus“ diskutieren Experten über zukunftsweisende Trends und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Hier werfen die beiden Führungskräfte der P3 Group Robert Stanek und Jürgen Schenk gemeinsam mit HELUKABEL-Experte Uwe Schenk einen Blick auf die Elektromobilität.

Branchenbild

Elektromobilität gilt als der Zukunftsmarkt. Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Megatrend?

Jürgen Schenk (JS): Seit 15 Jahren begleite ich nun die Transformation der Pkw-Branche und ich bin mir sicher: Elektromobilität ist der Pkw-Markt der Zukunft.

Robert Stanek (RS): Mich beschäftigt das Thema seit fast zehn Jahren, vor allem unter dem Aspekt, wann und wie Elektromobilität wirtschaftlich sein wird.

Uwe Schenk (US): Was mich daran reizt, ist das Anwendungsfeld, das weit über den Pkw hinausgeht. Wir bei HELUKABEL beschäftigen uns etwa mit Schnellladetechniken für E-Busse oder mit Lösungen für maritime Anwendungen.

Wie hoch ist derzeit weltweit der Anteil der E-Mobilität am Verkehrsgeschehen?

RS: Der größte Elektromobilitätsmarkt ist China. Dort sind etwa zehn Prozent der Pkws batteriebetrieben. In der EU sind wir bei drei bis fünf, in den USA bei drei Prozent.

P3 versteht den Wandel zur E-Mobilität als ganzheitliche Anforderung, die über die reine Elektrifizierung der Fahrzeuge hinausreicht. Können Sie uns ein Beispiel nennen?

RS: Gerne! Unser ganzheitliches Verständnis zeigt sich zum Beispiel im Bereich der Ladeinfrastruktur. Wenn wir bei P3 ein Fahrzeug für den europäischen Markt zertifizieren, dann fahren wir alle großen Ladenetze Europas ab. In der Theorie errechnet das Navigationssystem die Strecke mit den idealen Ladepunkten und Ladezeiten. Aber ein einfaches, einheitliches Plug & Charge ist in Europa noch nicht verfügbar. Für diese Testfahrten benötigen wir in manchen Ländern viele Dutzend Ladekarten aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Anbieter. Das wird auch so bleiben, solange sich kein einheitlicher Ladestandard abzeichnet und nicht alle Fahrzeuge die gleichen technischen Voraussetzungen haben.

Wann ist ein Ladestandard in Sicht, wie verändert sich derzeit der Markt?

RS: Viele Unternehmen sind seit über zehn Jahren beim Aufbau der Infrastruktur dabei, wie Allego oder die EnBW in Deutschland. Diese bieten mittlerweile eine sehr gute Netzabdeckung und haben bereits die zweite oder dritte Generation an Hardware installiert. Daneben gibt es aktuell viele Unternehmen, die in den Markt kommen. Die Tank & Rast Gruppe belegt beispielsweise an Autobahnen gute Plätze und bietet mit dem Partner IONITY ein Ladeangebot an knapp 80 Standorten. Aber auch globale Player wie Google erkennen das Potenzial. Derzeit konsolidiert sich der Markt, es finden viele Transaktionen statt. Das heißt, Unternehmen kaufen andere Anbieter auf und Firmen investieren neu in den Markt.

Trägt die Zulieferindustrie Ihrer Meinung nach dazu bei, dass sich die E-Mobilität schneller etabliert?

JS: Die Zusammenarbeit zwischen den Fahrzeugherstellern, der Zulieferindustrie und den Ladeparkbetreibern ist in Deutschland sehr gut. Dank zahlreicher neuer Förderprogramme wird auch viel investiert. Der Wettbewerb führt zwar bei uns oft dazu, dass es erst einmal heterogene Systemwelten gibt. Das bereinigt sich aber mit der Zeit. Die deutsche Industrie hat die Fähigkeit, ein performantes Gesamtsystem zu bauen.

Mit welchen Herausforderungen wird HELUKABEL konfrontiert?

US: Unsere Ladekabel transportieren viel Energie auf kleinstem Raum. Insofern brauchen unsere Produkte eine gute Leitertechnik und hervorragende Isolationsmaterialien, die mit den hohen Temperaturen, die im Kabel entstehen, umgehen können.

Was sind die limitierenden Faktoren für ein Ladekabel?

US: Wir sind vor allem durch die Peripherie am Fahrzeug und das Steckermodell begrenzt. Ein Limit haben wir beim Pkw-Ladekabel auch bezüglich der Handhabung erreicht. Beim Combined- Charging-System-Stecker (CCS), mit dem sich sowohl Gleichstrom- als auch Wechselstromladeverfahren realisieren lassen, nutzen wir ein Kabel mit bis zu 35 Millimeter Durchmesser. Das besitzt bereits ein enormes Eigengewicht. Irgendwann wird das Ladekabel schlichtweg zu schwer.

Bei der E-Mobilität dreht sich die Diskussion viel um Reichweite und Ladezeit. Werden die Themen überbewertet?

JS: Ich finde, durch die Ladepausen alle 1,5 bis zwei Stunden ist das Fahren mit dem Elektroauto viel entspannter. Diese Stopps sind auch nur nötig, wenn die Fahrstrecke länger als 300 Kilometer ist. Ist sie kürzer, versuche ich, am Zielort zu laden. Allerdings muss ich anmerken, dass vor Ort oft nur Wechselspannungslader verfügbar sind, die zu wenig Leistung liefern. Diese AC-Lader mit elf Kilowatt oder weniger sind in einer sehr frühen Phase der Elektromobilität entstanden. Heute aber sind sie nicht mehr brauchbar, wenn ein Pkw in ein bis zwei Stunden geladen werden soll.

US: Bei HELUKABEL registrieren wir noch immer eine sehr große Nachfrage nach den Leitungen für AC-Lader.

Wie kommt das?

JS: Weil jeder diese AC-Ladesäulen leicht bauen kann, die Zuleitungen dafür sind im Prinzip überall verlegt. Da ist ein richtiger Wettbewerb zwischen den Gemeinden entbrannt, nach dem Motto: „Wer besitzt die meisten Ladesäulen?“ Das ist aber für die Kunden nicht hilfreich. Mehr Schnellladestationen wären viel sinnvoller.

US: Ein anderer Ansatz für eine Ladeinfrastruktur wäre der Einsatz von Batterie-Wechselstationen. Man macht am Zielort einen Termin aus und der leere Akku wird gegen einen vollen getauscht.

RS: Ich denke, dass diese Entwicklung bei Nutzfahrzeugen oder beim Nahverkehr kommen wird. Busse stehen zwar abends im Depot. Aber parken dort beispielsweise mehr als 100 Busse, können sie auch nicht alle gleichzeitig geladen werden – dafür reicht schlicht die Anschlussleistung nicht aus. Ansonsten müsste ein Kraftwerk neben das Busdepot gebaut werden.

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von links: Uwe Schenk, Robert Stanek und Jürgen Schenk diskutieren über aktuelle Trends der E-Mobilität (© Tobias Bugala)

Wie steht es denn grundsätzlich um die Wirtschaftlichkeit der Ladeinfrastruktur?

RS: Meines Wissens verdient bisher nur Tesla mit seinem Schnellladenetz. Alle anderen Ladenetzbetreiber sind noch in der Investitions- und Aufbauphase.

Wireless Charging oder induktives Laden ist bei Consumer-Geräten wie Mobile Devices im Trend. Wie steht es um die Anwendung bei der E-Mobilität?

US: Dafür haben wir bei HELUKABEL aktuell viele Anfragen. Es gibt interessante Anwendungen wie die Ausrüstung von Taxi-Ständen. Diese Art von Ladesystem wird kommen, und zwar immer dort, wo die Fahrstrecke klar definiert ist. Auch Flussfähren zum Beispiel sind prädestiniert für kabelloses Laden.

„Deutschland soll Leitanbieter und Leitmarkt für E-Mobilität werden.“ Das war 2010 das erklärte Ziel der Bundesregierung und der deutschen Industrie. Wie steht es um die Zielerreichung aus Ihrer Sicht?

JS: Deutschland ist zu spät und zu langsam gestartet. Wir haben zu lange unsere Überlegenheit bei den Verbrennern ausgekostet. Aber mit der Dynamik, die sich gerade entwickelt, sind wir auf dem Weg in die Top 3. Platz 1 und 2 zurückerobern gegen China und Korea wird sehr schwierig sein. Aber mit den aktuellen Förderprogrammen ist unsere Wirtschaft im Wake-up-Modus angekommen.

Wie groß wird der Anteil an E-Mobilität in zehn Jahren sein?

RS: Wir gehen davon aus, dass wir 2030 in Deutschland einen Anteil von etwa 30 bis 40 Prozent an vollelektrischen Pkws im Verkehrsgeschehen haben werden. Aber ich bin nicht sicher, ob es viel mehr wird. Ich kann mir aktuell schwer vorstellen, dass in zehn Jahren jeder Parkplatz in der Stadt einen Ladeanschluss hat. Es wird weiterhin einen Mix an Antriebslösungen geben, wie zum Beispiel Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden.

Wie sieht unsere Mobilität im Allgemeinen in zehn Jahren aus?

JS: E-Mobilität ist unsere Zukunft – mit vielen Facetten, ob bei privaten Fahrzeugen, im öffentlichen Nahverkehr oder im Gütertransport. Es wird überall eine Elektrifizierung stattfinden.

US: Ich freue mich darauf, dass es ruhiger wird in den Städten. Denn 40 Prozent mehr E-Mobilität bedeutet auch 40 Prozent weniger Lärm auf den Straßen.

RS: Für mich ist es wichtig, dass die Entwicklungen nachhaltiger werden. Dafür gibt es noch viele Fragen zu klären: Wie effizient arbeitet der Ladepark? Wie funktioniert das Recycling der Batterien? Wir gehen davon aus, dass in etwa fünf Jahren das Marktvolumen groß genug ist, um Recyclingstätten sinnvoll zu betreiben. Bis dahin müssen wir ausgereifte Lösungen liefern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Porträt Stanek

Robert Stanek, Global Advisor E-Mobility, Member of the Board bei P3 automotive GmbH, studierte Betriebswirtschaft und Produktionstechnik an der Universität Stuttgart. Er kam 2012 als Automobilberater zu P3 und ist seit 2017 Partner bei P3. Stanek ist verantwortlich für das E-Mobilität-Team mit den Schwerpunkten Batteriesysteme, Elektroantriebe und Kostenmanagement.

Jürgen Schenk, Senior Advisor E-Mobility bei P3 automotive GmbH. Der Diplom-Ingenieur blickt auf 40 Jahre Automobilentwicklung zurück. Er beschäftigte sich in leitenden Positionen mit der Antriebselektronik und seit 15 Jahren mit der Elektromobilität. Er war unter anderem Direktor e-Drive Systemintegration bei der Daimler AG.

Porträt Schenk
Porträt Uwe Schenk

Uwe Schenk, Global Segment Manager eMobility & Renewable Energy bei der HELUKABEL GmbH, ist gelernter Rundfunk- und Fernsehtechniker. Seit 1998 ist er für HELUKABEL tätig, ab 2006 als Global Segment Manager Wind Energy und seit 2017 für den Bereich erneuerbare Energien und Elektromobilität. HELUKABEL ist Lösungsanbieter für E-Mobilität und Infrastrukturprojekte und liefert die passenden Kabel vom Stromerzeuger bis zum Verbraucher – für Pkw, Busse, Lkw, Flurfördergeräte, maritime Anwendungen oder Flughafen-Servicefahrzeuge.

Über die P3 Group:

Logo P3

Die P3 ist eine unabhängige internationale Unternehmensberatung, die auch Ingenieursdienstleistungen und Softwareentwicklung anbietet. P3 beschäftigt über 1.000 Mitarbeiter an 17 internationalen Standorten. Im Bereich Elektromobilität ist die P3 seit über 15 Jahren tätig.

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